Tagebuch Eintrag

sarah.mwende

(Das Mädchen auf dem Bild ist nicht die kleine Nyota.)

Heute am frühen Morgen erhielt ich einen Anruf vom Childrens Department Runyenjes.

Es war sehr früh.

Daher konnte ich bereits annehmen: Es ist wieder einer „dieser Anrufe“.

Das Department berichtet von einem kleinem Mädchen, das gerade ins Hospital in Runyenjes als Notfall eingeliefert wurde. Ich bekomme kurz die Fakten erzählt:

Name: Nyota (Name geändert)
Alter: 9 Jahre,

mehrfache Vergewaltigung und schwere körperliche Misshandlung, sie wurde eingeliefert mit schweren Blutungen und Verletzungen im Vaginalbereich.

Ob wir Platz haben, ist die Frage, sie hätten keinen Ort, wo sie das Mädchen sicher unterbringen können, bis ein Gericht sich diesem Fall annimmt. Die Mutter sei gestorben und der Vater sei unter den mutmaßlichen Tätern, die sich immer wieder an dem Mädchen vergingen.
Ich überschlage kurz die Kosten im Kopf für die medizinische Versorgung, eine Matratze, ein Bett, Decken, Kleidung, evtl Schuluniform und Lernmittel – Ich sage JA! und gebe grünes Licht, dass Nyota nach der ärztlichen Erstversorgung zu uns kommen kann.

(Oft werde ich in Deutschland gefragt, was das schlimmste sei, was ich je hier in Kenia in meiner Vor-Ort-Arbeit erfahren habe. Es ist genau das: Rechnen zu müssen, ob wir ein Kind retten können, oder nicht! Kinder ablehnen zu müssen, da wir nicht genug Spendengelder oder Platz haben, ist und bleibt das Schlimmste. Doch Nyota hat Glück! Wir haben gerade noch Platz und ein „kleines finanzielles Polster“.)

Gegen 17 Uhr wurde Nyota mit der Polizei zu uns nach Kiaragana gebracht. Sie kann nicht richtig laufen. Sie geht breitbeining und leicht nach vorn gebeugt. Sie muss wahnsinnige Schmerzen haben.

Sie ist gerade mal 9 Jahre alt …

Ich kniee mich zu ihr runter und frage sie auf Kiswahili (Landessprache), wie sie heisst und wie alt sie sei. Sie antwortet sehr leise und ihr Kopf senkt sich immer mehr, dass ich kein Wort, keine Silbe verstehen kann.

Durch das Telefonat und den Bericht, den die Polizei mir übergeben hat, kenne ich bereits alle Details und brauche nicht nachzufragen. Ich tue so, als hätte ich alles verstanden. Ich sage ihr meinen Namen und frage, ob sie mit mir mitkommen möchte, dann reiche ich ihr meine Hand. Ich zeige ihr ein Bett, in dem sie nun erstmal schlafen kann. Sie setzt sich ganz vorsichtig aufs Bett und schaut mich völlig verschüchtert an.

Ich gebe ihr starke Schmerztabletten (mitgegeben vom Krankenhaus), frische Unterwäsche, wie einen Duscheimer, ein paar Slippers (Flip Flops) und ein paar neue Kleidungsstücke. Ich setze mich zu ihr aufs Bett und erkläre ihr, dass sie nun erstmal hierbleiben wird, dass wir uns um sie kümmern, sie nicht allein ist und dass sie nun erstmal schlafen kann …

Sie schaut sich in der Girls Dormitory (Mädchen-Schlafzimmer) um, schaut mich an und murmelt ein sehr leises „Asante“ (Danke auf Kiswahili) … Nun ist Nyota als „Rescue Case“ (Notfall) bei uns aufgenommen.

Alle anderen KIDS stehen bereits an der Küche und warten auf mich um zu wissen, wer das neue Mädchen ist und warum sie nicht richtig laufen kann.

Ich erkläre allen, dass Nyota nun bei uns wohnen wird, da ihr große Schmerzen zugefügt wurden, dass sie erstmal Ruhe braucht und nun schlafen wird.

Die KIDS stimmen zu, dass Nyota bei uns bleiben kann und fragen mich, ob sie morgen mit ihr spielen können…

Ich weiss nicht, ob Nyota jemals diesen Schmerz, der ihr zugefügt wurde, vergessen wird.

Aber ich weiss, dass sie lernen wird damit umzugehen. Ich weiss, dass es einer dieser Tage ist, an dem mal wieder die Traurigkeit siegt und auch mir Tränen die Wange runterlaufen. Natürlich nicht vor Nyota! Denn meine Aufgabe, wie die Aufgabe des Teams ist es, Nyota in die Gruppe zu integrieren und wieder die kindliche Fröhlichkeit in ihr Gesicht zurück zu bringen.

Und ich weiss, dass wir das schaffen! Denn unser Kinderheim ist nun ihr Schutzraum und das Gericht wird uns die kleine Nyota in ein paar Monaten auch offiziell übergeben. Das ist in den meisten Fällen so.

Diese Gerichtsverhandlungen stehen nun bevor und Nyota wird ihre Aussage machen müssen. Sie wird ihren Peinigern gegenüber stehen und sicherlich werden sie versuchen das kleine Mädchen zurück zu holen. Doch wir werden Nyota zur Seite stehen, für ihre Rechte kämpfen und für ihre Sicherheit sorgen!